Von der Qualitätsmanagerin zur Trainerin, Autorin und Expertin für Office 365: Sigrid Hess teilt mit uns Erfahrungen im digitalen Büroalltag, gibt Tipps zur Frage nach den «richtigen» Tools und gewährt uns sogar einen Blick in ihren Keller.
Sigrid Hess war vor einigen Jahren Qualitätsspezialistin in einem Pharma-Unternehmen. Heute ist sie Küchen-Nerd und «Büro-Flüsterin». Als Expertin für das (digitale) Office schreibt sie Bücher über praktische Büro-Organisation, gibt sehr konkrete Überlebenstipps für alle, die nicht in Informationsfluten und Tool-Untiefen ertrinken möchten und hat dabei jede Menge Beispiele aus der Realität auf Lager. Da wir alle gerade sehr gefordert sind mit der Organisation unserer virtuellen Zusammenarbeit und mit der Integration von neuen Kommunikationskanälen und Tools, haben wir sie im Interview um ein paar Tipps für unseren neuen digitalen Arbeitsalltag gebeten.
Liebe Sigrid, letztes Jahr kam Dein neustes Buch «Digital anders Arbeiten» raus. Als Du das geschrieben hast, war digitales Arbeiten im Büro für die meisten Menschen vermutlich vor allem eine Frage von Kontaktreduktion mit dem Drucker. Tools, die Du vorstellst wie Slack, Zoom oder Teams waren da noch lange nicht so in unseren Alltag integriert wie heute im Home Office. Hattest Du einen Riecher dafür, dass wir alle schneller mit diesen digitalen Möglichkeiten arbeiten müssen, als wir zu träumen gewagt hätten?
Das Thema des «Papierlosen oder papierarmen Büros» ist ja keineswegs neu. Ein entsprechendes Seminar halte ich seit etwa sechs Jahren. Doch damals waren die genannten Tools noch in den Kinderschuhen. Ich hatte sie als Ausblick vorgestellt. Im Unternehmen so ähnlich kommunizieren wie über Facebook – das war schon bekannt – konnten sich die meisten meiner Teilnehmenden beim besten Willen nicht vorstellen. Nun haben wir mit Teams & Co. genau das. Eine solche Disruption, wie die Pandemie uns gebracht hat, habe ich ebenso wenig kommen sehen wie (fast) alle anderen Menschen. Doch hat dies der Digitalisierung einen riesigen Schub gegeben. Plötzlich musste man Dinge digital erledigen – oder gar nicht.
Ich dachte immer, ich hätte meine E-Mails im Griff. Bis die Home Office-Pflicht kam…. Was für Tipps hast Du, damit man nicht in der täglichen Mail-Flut ertrinkt?
Am Anfang steht die Beobachtung – der Ist-Zustand: Was nervt mich und warum? Sind es viele E-Mails, die ich in CC erhalte und das nicht sehe, ehe ich sie gelesen habe? Dann hilft eine Regel oder eine bedingte Formatierung. Manchem hilft es auch, E-Mails nach Absender oder Stichwort vorsortieren zu lassen. Ich selbst arbeite mit der Kennzeichnung. So signalisiere ich gleich beim ersten Lesen der E-Mail, dass ich in dieser Sache noch etwas unternehmen muss. Wird im Unternehmen Teams oder ein vergleichbares Tool eingesetzt, sollte der Weg dahin gehen, dass sich Kollegen keine E-Mails mehr schreiben, sondern den alternativen Kommunikationsweg wählen.
Fast täglich hört man von neuen digitalen Tools, die die Zusammenarbeit erleichtern sollen: Digitale Kanban-Boards, Tools für Notizen und Mindmaps, Tools zum Austausch von Dokumenten und vieles mehr. Auf den ersten Blick sehen die Tools alle verlockend aus und es macht Spass, ein bisschen damit zu spielen. Irgendwann stellt sich dann die Frage, ob man nun von der Freeware auf eine kostenpflichtige Lizenz wechseln soll. Und wenn, dann müssten ja alle anderen Teamkollegen das gleiche Tool verwenden. Gerade in KMU, wo die «Toolfreiheit» vielleicht etwas grösser ist, muss man sich dann entscheiden. Was ist bei so einer Entscheidung wichtig?
Ich beginne immer mit dem gleichen Dreischritt: Der Prozess – die Schnittstelle – das Werkzeug. Man beachte die Reihenfolge. Beispiel Notizen. Jemand möchte seine Papierkladde loswerden und hat von dem sehr guten Tool Good Notes gehört. Flugs auf dem iPad installiert. Funktioniert hervorragend. Doch dann möchte man – Schnittstelle – diese Notizen auch auf dem Bürorechner haben. Fehlanzeige. Denn das Tool gibt es nur für iOS. Anderes Beispiel: Ein Kunde von mir möchte bei Vertriebsveranstaltungen mit dem Tool Miro arbeiten. Das ist sehr performant, macht Kanban-Boards, MindMaps und vieles mehr. Doch für die Interaktion brauchen die Teilnehmenden ein Konto – via Facebook, Google oder bei Miro selbst. Das hat nicht jeder und nicht jede darf das auf dem Firmenrechner anlegen. Daher diese Leitfragen: Was genau brauche ich? Wer braucht es noch? Wie interagieren wir? Wenn darauf Antworten gefunden sind, fällt die Auswahl leichter.
Alle wollen heute «lean» sein: Lean Production, Lean Leadership, Lean Office, vielleicht kommt irgendwann noch ein Ernährungstrend «Lean Lunchtime» auf? Spass beiseite, bei «lean» geht es darum, Verschwendung zu reduzieren. Wo erlebst Du in Büros die meiste Verschwendung?
Ganz klar in schlecht vor- und nachbreiteten Meetings. Wenn man sich ohne Agenda trifft, keine Zeitfenster definiert sind und man zuerst einmal nachsehen muss, wo eigentlich das Protokoll vom letzten Mal … Protokoll? Was für ein Protokoll?
Das ist sehr ermüdend – und noch viel mehr im virtuellen Format. Da gelten umso mehr die drei k: Kurz, knackig, klar strukturiert. Wenn es dann noch Möglichkeiten zur (virtuellen Interaktion) gibt, gelingt das Ganze erfrischend und effektiv.
Und wo geschieht aus Deiner Sicht im Home Office die meiste Verschwendung?
Da muss ich spekulieren. Ich beobachte, dass die reine Arbeitseffizienz in den meisten Fällen steigt. Verschwendung sehe ich eher am anderen Ende: Das hat mit der Entgrenzung von Arbeit und Freizeit zu tun. Zum Beispiel die kleinen Zeitverschwendungen, wenn der Briefträger klingelt. Natürlich geht man an die Tür – «ach, wenn ich schon mal unten bin, kann ich auch gleich die Spülmaschine ausräumen» - oder so ähnlich. Dafür arbeitet man dann abends noch zwei, drei Stunden. Das klare Abschließen des Arbeitstages entfällt so. Am Ende fühlt man sich kaum noch im Feierabend – das kann eine Verschwendung von Energie und Lebensqualität sein.
Bonusfrage: Wo erlaubst Du Dir Verschwendung und warum?
In meinem Business ist tatsächlich vieles auf Effizienz getrimmt, ich arbeite alleine, da bin ich auf gute Prozesse angewiesen, wenn ich nicht 24/7 arbeiten möchte. Privat koche und backe ich sehr gerne und bin bekennender Küchen-Nerd. Was meine Küche an Geräten und Gadgets aufweist, ist alles andere als bescheiden. Und was dazu im Keller steht würde locker einen zweiten Haushalt ausstatten. Nun, ich hoffe darauf, dass meine Kinder eines Tages ihre Studentenbuden hinter sich lassen und dann den Keller plündern. 😉
Vielen Dank für das Interview und wir freuen uns sehr darauf, Dich demnächst persönlich bei uns als Dozentin zu erleben!