Umfragen können bei unternehmerischen Entscheidungen sehr hilfreich sein. Wer sie nutzt, muss aber wissen, wie sie korrekt durchgeführt werden, damit aussagekräftige Ergebnisse erzielt werden, die dann für Verbesserungen nützlich sind.
Paul Baartmans befragt als Qualitätsmanager der Lindenhofgruppe in Bern und Inhaber der Firma Sinn-These AG in Zug monatlich ca. 2'000 Personen – Patientinnen, Patienten und Mitarbeitende. Er analysiert alle diese Daten und zeigte uns an diesem QQ-Impuls «Kein Blick in die Kristallkugel: Was man aus Befragungen im Gesundheitswesen herauslesen könnte», welche Möglichkeiten man hätte! Er gab einen Einblick in seine Arbeit und präsentierte uns, welches Potenzial in den Daten steckt, die in Einrichtungen des Gesundheitswesens und in anderen Branchen erhoben werden.
Es gibt unterschiedliche Gründe für Befragungen im Gesundheitswesen: In erster Linie, um den gesetzlichen Bestimmungen Genüge zu tun: Institutionen im Gesundheitswesen müssen ihren Leistungsauftrag (Bund/Kanton) erfüllen und hierfür bestimmte Daten erheben. Auf Basis der Ergebnisse können die Institutionen verglichen werden. ANQ-Befragungen und SIRIS-Datenerhebungen sind hierfür geläufige Beispiele.
Zusätzlich gibt es Befragungen, die mehr oder weniger-freiwillig gemacht werden, um beispielsweise Zertifizierungsanforderungen (ISO, DKG etc.) zu erfüllen.
Dann gibt es noch die Befragungen aus Eigeninitiative, die als Entscheidungshilfen auf Basis von Zahlen, Daten und Fakten dienen können und wichtige Informationen liefern können – als Ergänzung zu den finanziellen Kennzahlen.
Zu guter Letzt gibt es noch die Befragungen, um sich vermehrt auf den Kunden zu fokussieren und damit einen Wettbewerbsvorteil zu sichern.
Was können wir mit den heutigen vorhandenen Daten machen?
Der Nationale Verein für die Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken ANQ ist zuständig für die Durchführung von Qualitätsmessungen in Schweizer Spitälern und Kliniken. Die nationale Patientenzufriedenheitsmessung ist Bestandteil des ANQ-Messplans. Diese Daten sind aber nur begrenzt verwendbar, da die Ergebnisse sehr generisch sind. Sie dienen vorwiegend als Vergleichsmittel zwischen den Institutionen.
Für seinen Vortrag nutzte Paul Baartmans die ANQ Patientenzufriedenheitsmessung als Beispiel: Hier ein Auszug aus der Befragung – links die Fragen, rechts die Antworten.
Auf Basis dieser sechs Fragen werden die Spitäler bewertet. Zusätzlich werden demografische Daten wie Alter, Geschlecht etc. erhoben, die als Filtermöglichkeit benutzt werden können.
Die Zielsetzung der Befragung ist gemäss ANQ, die Qualität in Spitälern und Kliniken zu fördern. Wenn man nun die Fragen und die Auswertungen näher betrachtet, fällt auf, dass diese hierfür nicht genug spezifisch sind. Es ist praktisch unmöglich, konkrete Verbesserungen herauszulesen.
Die Grafik rechts beispielsweise zeigt keine detaillierten Ergebnisse zur Frage «Wie beurteilen
Sie die Qualität der Behandlung?». Die Resultatdarstellung ist nicht einfach zu
interpretieren: Sie ist sehr auf den Durchschnittswert ausgerichtet und gibt
kaum konkrete Ansatzpunkte zur Verbesserung. Was genau bedeutet es und was soll
man tun, wenn man weiss, dass man unter oder über dem Durchschnitt ist? Zudem
lässt die Frage viel Interpretationsspielraum: Was versteht man genau unter «Behandlung»?
Ist damit die Physiotherapie gemeint, eine Arztkonsultation oder gar eine OP?
Die Wortwahl in der Frage ist zu generisch, um aussagekräftige Resultate zu
erhalten.
Fazit: Die ANQ-Befragung kann als Vergleichsinstrument zwischen den Institutionen herangezogen werden. Um sie auch für Verbesserungen in der eigenen Organisation zu nutzen, braucht man Zeit und statistisches Know-how, um die Rohdaten weiter auszuwerten.
Anforderungen an Befragungen
Für eine aussagekräftige Befragung müssen die folgenden Anforderungen erfüllt sein:
- Zielsetzung und Zielgruppe der Befragung ist bekannt
- Aufbau der Befragung
o Reihenfolge der Fragen
o Fragesorte (Aussage, Situationsbeschreibung, Erfahrungsbewertung…)
o Skalierungen (etabliert, konstant …)
♦ Tendenz zur Mitte Berücksichtigen
o Möglichkeiten für Kommentare (Grösse des Textfeldes, Platzierung…)
o Sprache
♦ Sprachstil
♦ Niveau
♦ Wertende Wörter bzw. negativ behaftete Wörter vermeiden
Die Zielsetzung und die Zielgruppe sind am wichtigsten, denn sie beeinflussen die gesamte Befragung – vom Aufbau bis zur Sprache.
Neben der Reihenfolge, die für die Zielgruppe logisch und thematisch aufbauend sein sollte, sind die Fragesorten ebenfalls sehr wichtig für die Steuerung der Resultate. Ist ein simples «ja/nein» ausreichend oder wäre ein Freitext besser? Bei Skalierungen hingegen ist wiederum die Tendenz zur Mitte zu berücksichtigen und eine Skala, welche die Zielgruppe gewohnt ist. In der Schweiz ist die Skala 1 bis 6 üblich wie bei den Schulnoten. Bereits 1 bis 10 bereitet gewissen Personen Mühe. Auch muss man bedenken, dass es für die Befragten komplizierter wird, je mehr unterschiedliche Skalen in einer Umfrage benutzt werden.
Die Möglichkeit für Kommentare ist ein sehr wichtiger Teil bei Umfragen. Die Nachbearbeitung ist sehr zeitintensiv. Dennoch lohnt es sich, Freitextfelder in Befragungen zu integrieren. Der Informationsgewinn macht den Mehraufwand für die Auswertung wieder wett.
Die Sprache muss der Zielgruppe angepasst werden – in der Wortwahl wie auch in der gesamten Tonalität. Hier gilt: Einfachheit ist das A und O. Wenig Fremdworte, kurze, verständliche Sätze.
Anforderungen an Analysen
Nicht nur bei der Erstellung der Fragebogen, sondern auch bei der Analyse gibt es diverse Anforderungen, die zu erfüllen sind:
· Datenformat sollte sich für statistische Auswertungen eignen
· Ergebnisse in Echtzeit für eine schnelle Reaktion
· Textantworten inhaltlich analysieren
· Ergebnisse der Inhaltsanalyse mit den numerischen Bewertungen verknüpfen
Korrelationen von Daten sind immer sehr nützlich und bringen in der Regel neue zusätzliche Erkenntnisse, werden aber leider vielfach nicht gemacht.
Die Inhaltsanalyse macht Paul nach Mayring – die Inhalte werden dabei kategorisiert und können dann mit den numerischen Daten verknüpft und interpretiert werden.
Zudem sollten die Daten – wenn möglich – in Echtzeit verfügbar sein: Gerade bei negativen Reaktionen ist es wichtig, direkt und rasch zu antworten. Am besten gleich telefonisch. Paul hat die Erfahrung gemacht, dass die meisten Leute sehr (positiv) überrascht sind von dem raschen persönlichen Kontakt. Befragungen können als sehr effektives Beschwerde-Tool genutzt werden! Simpler Tipp: Die Kontaktperson mit Kontaktdaten auf dem Fragebogen angeben.
Beispiele von Entscheidungen aufgrund einer Analyse
Dieses Beispiel aus einer Umfrage zeigt eine Balkendiagramm-Darstellung zum Thema Austritt mit Markierung des Mittelwerts. Auch das ist wenig spezifisch ist. Die Fragestellung lässt ebenfalls Interpretationsspielraum: War die Art und Weise schlecht? War das Abschlussgespräch ungenügend oder wurde gar keines gemacht? War die Verabschiedung abweisend? Wurde am Schluss vergessen, Medikamente abzugeben? Und was genau fängt man damit an, wenn man weiss, ob man nun links oder rechts des Mittelwertes liegt?
Hier wird nun sichtbar, wie wertvoll die Freitext-Antworten sind, die zur Fragestellung gemacht werden. Beim Thema Austritt wurde zusätzlich zur quantitativen Einschätzung Folgendes erwähnt:
- Fehlendes Abschlussgespräch mit dem Arzt bzw. der Ärztin
- Unvollständige Austrittsinformationen (Übungen, Therapien, Medikamente…)
- Austritt wurde zu kurzfristig angekündigt (wurde teils als «Rausschmiss» empfunden)
- Keine Abgabe von Medikamenten vor oder am Wochenende (keine Apotheke offen)
Die Kommentare bestätigten das eher negative Bild der Bewertung (Skala 3.33). Aber erst aufgrund der Textantworten konnten die Verbesserungspotenziale eruiert werden.
Hierfür wird eine gründliche Analyse der Freitextkommentare gemacht. So ergaben sich konkrete Fälle, die beim Austritt für Unzufriedenheit sorgten: Zum Beispiel Entlassungen am Wochenende ohne Abgabe von Medikamenten, weil die Spitalapotheke am Wochenende nicht offen war. Das bedeutete Mehraufwand für die austretenden Patienten. Anhand der Ergebnisse kann die Geschäftsleitung dann im Sinne der Patientenfokussierung beschliessen, ein Piket-Dienst in der Spitalapotheke am Wochenende einzurichten. Oder es wird ein Vertrag mit einer Apotheke in der Nähe des Spitals abgeschlossen, welche die Medikamente am Wochenende bereitstellt. Die daraus resultierenden Kosten werden den Vorteilen und dem möglichen Schaden durch Imageverlust gegenübergestellt, so dass die Geschäftsleitung aufgrund von Zahlen, Daten und Fakten entscheiden kann.
Wenn man bedenkt, dass eine Person, welche eine negative Erfahrung gemacht hat, diese unaufgefordert durchschnittlich zehn weiteren Personen erzählt, liegt es auf der Hand, wie entschieden werden sollte.
Ein weiteres Beispiel war die Textanalyse zur Frage nach den Informationen während der Behandlung in einer stationären Einrichtung. Dabei kam heraus, dass die meisten Personen, welche diesen Punkt negativ bewertet hatten, mit den unterschiedlichen Aussagen der betreuenden Personen unzufrieden waren. Bemerkung einer Patientin hierzu war: «Wenn ich am Samstag im Migros gefragt hätte, hätte ich die gleiche Anzahl unterschiedliche Antworten bekommen… dies hat mich sehr verwirrt und unsicher gemacht».
Die Geschäftsleitung entschied aufgrund der Analyse, die Verantwortlichkeiten neu zu definieren: wer welche Informationen wann abgeben darf. Zudem initiierten sie eine Weiterbildungsserie zum Thema Informationsabgabe und passten ihre Prozesse an.
Und was hat es gebracht?
Das zweite Qualitätsgesetzt (Berwick, 2001) besagt:
«Nicht jede Veränderung ist eine Verbesserung, aber jede Verbesserung ist eine Veränderung.»
In diesem Sinne müssen alle Veränderungen auf ihre Wirkung überprüft werden!
Auch für die Überprüfung der Wirkung können Befragungen eingesetzt werden. Nach Umsetzung von Massnahmen wird nach einer definierten Zeit erneut befragt – natürlich mit der gleichen Frage. Zu unserem Beispiel bezüglich der Informationsabgabe war das Resultat sehr erfreulich: Der Mittelwert lag nach der Veränderung bei 4.83. Das heisst, die Massnahmen waren erfolgreich.
Ein wunderbares Beispiel für systematische Verbesserung nach PDCA – die Evaluation mit der erneuten Befragung ist der «Check» im Deming-Kreislauf, das «Act» bedeutet: Die Massnahmen zeigen Wirkung und werden beibehalten.
Dass sich die Analyse der Textantworten tatsächlich lohnt, zeigen nicht nur die oben genannten Beispiele, sondern ein weiterer heisser Tipp von Paul: Man kann diese auch als Ideen-Pool nutzen!
«Die Steckdose unter dem Bett ist sehr schlecht zu erreichen und weit weg. Ist es nicht möglich, eine Mehrsteckleiste in den Nachttisch zu legen, damit die Patienten ihre Ladegeräte gleichzeitig einstecken können und die Geräte auf dem Nachttisch liegen? Nur ein Tipp, ich bin Elektriker.»
Solche Kommentare sind Gold wert und werden bei Paul unter der Kategorie «Qualitäts-Ideen» gesammelt.
Schlussfolgerung
- Werden Befragungen durchgeführt, müssen sie sorgfältig und mit dem nötigen Wissen erstellt werden
- Die Ergebnisse aus solchen Befragungen müssen einer wissenschaftlich methodischen Analyse unterzogen werden.
- Die daraus entstehenden Zahlen, Daten und Fakten haben das Ziel, die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger unterschiedlicher Ebenen der Organisation in ihrer Arbeit zu unterstützen
- Die mehrfache Durchführung von Befragungen ermöglicht es, realisierte Massnahmen auf ihre Wirkung zu überprüfen und somit den PDCA-Kreis vollständig zu durchlaufen
Bist Du inspiriert und willst es nun auch genauer wissen? Bist Du bereit, mit einer Befragung die Zahlen, Daten und Fakten für eine fundierte Entscheidungsbasis zu schaffen? Wir sind uns sicher, Befragungen sind nicht nur im Gesundheitswesen ein wirkungsvolles Tool, um näher an Deinen Kunden zu sein und um Verbesserungspotenziale in Deinem Unternehmen aufspüren zu können.
Kein Blick in die Kristallkugel: Was man aus Befragungen im Gesundheitswesen herauslesen könnte
Video QQ-Impuls
Wir haben Dir den gesamten QQ-Impuls aufgezeichnet, so dass Du Dich auch im Nachhinein über dieses interessante Thema informieren kannst.
Im Video siehst Du auch die Fragen der QQ-Impuls-Teilnehmenden und interessanten Antworten von Paul.
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Text: Anja Zell