Ein erhöhtes Kostenbewusstsein, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten und ein verändertes Bewusstsein zur Nachhaltigkeit stellen die Notwendigkeit von Geschäftsreisen in Frage.
Dies trifft uns im Qualitätsmanagement und der Qualitätssicherung mit Lieferanten besonders, denn der Besuch bei Lieferanten vor Ort ist seit je her ein wichtiges Mittel für partnerschaftliches Lieferanten-Beziehungs-Management, zur Lieferantenbindung, zur gegenseitigen Weiterentwicklung der Prozesse und nicht zuletzt für die persönliche Beziehung zu den Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner.
Wie eine in Deutschland erhobene VDR-Geschäftsreiseanalyse 2023 zeigt, werden viele Geschäftsreisen heute durch Video- oder Telefonkonferenzen ersetzt. Die Notwendigkeit von Geschäftsreisen wird stärker hinterfragt und wenn diese nötig sind, ist meistens eine Kosten- und Aufwandreduktion von den Unternehmen verlangt.
Aber wann sollten wir als Qualitätsmanagerinnen und Qualitätsmanager die Koffer packen, den Aufwand und die Kosten in Kauf nehmen, um vor Ort Präsenz zu zeigen? Wir haben eine Checkliste zusammengestellt, wann Du eine Reise zum Lieferanten einplanen sollten.
Check 1 (für bestehende und neue Lieferanten): Wie wichtig ist der Lieferant?
Für diesen Check nehmen wir ein klassisches Tool aus dem strategischen Beschaffungsmanagement zur Hand: Das Beschaffungsportfolio nach Kraljic (siehe Grafik). Wir teilen dazu alle unsere Lieferanten den vier Quadranten zu. Kernfragen sind hier u.a.:
- Ist das Versorgungsrisiko als hoch einzustufen?
- Ist der Lieferant als «Single Source»-Lieferant klassifiziert?
- Sind die zu beschaffenden Produkte oder Herstellprozesse technisch hoch komplex?
Wenn Du eine der Fragen mit «ja» beantworten kannst, befindet sich der Lieferant in Quadrant I oder III.
Lieferanten, welche sich in einem dieser beiden Quadranten befinden, sind prädestiniert für persönliche Gespräche vor Ort und die Reisezeit ist sinnvoll investiert.
Was gilt es zu besprechen?
Lieferanten aus Quadrant I «Strategischer Lieferant» müssen besonders gepflegt werden. Sie sind sehr relevant für unser Unternehmen und ein wichtiger Teil unserer Wertschöpfungskette. Es gilt, bei diesen Lieferanten Logistik- und Qualitätspartnerschaften aufzubauen und – wo möglich – auch Entwicklungskooperationen einzugehen, um auf technischer Ebene zusammenzuarbeiten.
Ebenso gilt es, ein Gefühl für unseren Stellenwert als Kunde im Gesamtkontext des Lieferanten zu entwickeln. Welchen Umsatzanteil nehmen wir am Gesamtumsatz des Unternehmens ein? Sind wir ein strategisch wichtiger Kunde (Key-Account) oder nur einer von vielen Kunden ohne nennenswerten Einfluss auf die Prozesse des Lieferanten?
Mindestens für einen ersten Kontakt und einen ersten Einblick ist ein Meeting beim Lieferanten vor Ort den Videokonferenzen vorzuziehen.
Mit Lieferanten aus Quadrant III «Engpass-Lieferant» ist es notwendig, einen aktiven Informationsaustausch zu pflegen. Ein Grund kann sein, dass wir für den Lieferanten unbedeutend sind, z.B. weil wir kleine Stückzahlen einkaufen. Die kleinen Einkaufsvolumen garantieren oftmals keine automatischen und standardisierten Herstellungs- und Belieferungsprozesse.
Um die geforderten Lieferzeiten im Griff zu behalten und Lieferausfälle zu verhindern, ist hier ein aktives Management und ein aktiver Kontakt mit dem Lieferanten erforderlich.
Mittelfristige Massnahme: Eine gemeinsame und systematische Analyse des Wertstroms inklusiv der Lieferkette kann helfen, Risiken zu erkennen, um sie dann zu aktiv zu managen oder zu optimieren. Der Grundsatz aus dem Qualitätswesen «sich selbst ein Bild machen» trifft hier im besonderen Masse zu.
Mit Lieferanten aus Quadrant III muss ein weiteres Ziel verfolgt werden: langfristige Verträge zu Lieferungen, Versorgungssicherung und auch zur Qualitätssicherung vereinbaren. Standardverträge haben hier keinen Platz. Diese individuellen, produktspezifischen Verträge bedingen persönliche Gespräche und ein gegenseitiges Verständnis für die internen Prozesse.
Diese Lieferanten bergen oft individuelle Risiken, welchen mit individuell getroffenen Massnahmen (Sicherheitsbestände, Verträge, Know-how-Sicherung, Übernahmemöglichkeiten, …) begegnet werden muss.
Check 2 (für
bestehende Lieferanten): Welche Lieferanten performen nicht?
Die laufende Lieferantenbewertung ist eines der wichtigsten Werkzeuge im Lieferantenmanagement. Die Transparenz über die Performance von Lieferanten ist entscheidend, um zielführend korrigierende Massnahmen zu ergreifen oder Lieferanten, welche sehr gut performen, in Angebotsprozessen zu bevorzugen.
Folgende Kriterien sollten zur regelmässigen Leistungsüberwachung von Lieferanten angewendet werden:
- Anlieferqualität / Fehlerhäufigkeit
- Termintreue, ggf. erweitert um die Mengentreue
- Subjektive Bewertung von Zusammenarbeit / Service
- Wirtschaftlichkeit (z.B. Preisniveau und Initiativen zur Kostenreduktion)
Wenn die definierten Ziele in den jeweiligen Kriterien nicht erreicht werden, sind Massnahmen zur Verbesserung der Situation angebracht. Bewährt hat sich hier ein mehrstufiges Eskalationsmodell.
Stufe 1: Das klärende Gespräch - Unter der Analyse von Ursachen und bereits getroffenen Massnahmen.
Im Gespräch wird beurteilt, ob bereits getroffene Massnahmen wirksam sind. Zusätzlichen Massnahmen werden im Gespräch definiert.
Stufe 2: Das Lieferantenaudit – Klärende Gespräche waren nicht erfolgreich, die Massnahmen genügen nicht, um den Missstand zu beheben.
Plane zusammen mit weiteren Fachpersonen aus dem Unternehmen ein Audit vor Ort. Überprüfe im Rahmen des Audits, ob Vertragsbedingungen und besprochene Abläufe eingehalten werden. Dies kann Aspekte der Herstell- und Logistikprozesse, den Umgang mit Fehlern bis hin zur Einbindung der Unterlieferanten und Weitergabe von Anforderungen beinhalten.
Stufe 3: Der Qualitätszirkel – Der Lieferant ist nicht in der Lage, die Missstände aus dem Audit selbst zu beheben.
Möchten wir am Lieferanten im Sinne der partnerschaftlichen Lieferantenentwicklung festhalten, benötigt der Lieferant nun die volle Unterstützung in Form von Beratung und personellen Kompetenzen vor Ort. Die Stärkung der Qualitätsprüfung, Optimierung der Herstell- oder Beschaffungsprozesse oder die der Logistik können Handlungsfelder sein.
Wichtig bei allen Massnahmen:
- Kurzzyklische schriftlich vereinbarte Ziele
- Monatlicher Austausch zum Stand der Dinge
- Regelmässige Zielbewertung
Check 3 (Neue
Lieferanten): Auswahl neuer Lieferanten
Ob und welcher Lieferant neu ins Portfolio aufgenommen wird, bestimmen mehrere Faktoren und in den meisten Fällen die abgegebene Offerte des Lieferanten.
In einem erfolgreichen Lieferantenmanagement löst ein neuer Lieferant eine Reihe von risikominimierenden Massnahmen aus. Die Lieferantenbeurteilung und die Lieferantenselbstauskunft helfen uns, den neuen Partner einzuschätzen.
Aspekte, wie z.B. die Kreditwürdigkeit, die Unternehmensstrukturen, gültige ISO 9001 / 14001 oder andere Zertifizierungen, können ohne direkten Kontakt abgefragt werden.
Für strategisch wichtige Lieferanten sollte zusätzlich eine detaillierte Beurteilung stattfinden, welche idealerweise vor Ort oder durch eine Selbsteinschätzung des Lieferanten erfolgen kann.
Folgende Kriterien solltest Du beurteilen:
- Produktion (Zustand Einrichtungen/Anlagen, Produktionssystem, Materialfluss, Instandhaltung, Qualifikation der Beschäftigten, Fähigkeit kurzfristiger Kapazitätsanpassung Arbeitsplatzorganisation und Arbeitssicherheit, …)
- Qualitätsmanagement (Kennzahlenerfassung, Prüfplanung, Arbeitsplanung, Qualitätsmanagement-System für Zulieferteile, …)
- Lieferantenmanagement und Logistik (Vereinbarungen mit Lieferanten, Logistikkonzept, Lieferhäufigkeit, Sourcing, …)
- Innovationskraft/Entwicklung (Aufwand für Forschung und Entwicklung, Projektmanagement, Absicherung Reifegrad, …)
- Strategische Ausrichtung und wirtschaftliche Stabilität (Unternehmensziele, Umsatz/Mitarbeiter, Eigen-/Fremdfertigungsanteil, Kostentransparenz, Nachfolgeregelung, Berichtswesen, Verbesserungsprozess, ...)
- Ethische Kriterien (Einhaltung Gesetze, Verbot von Korruption und Bestechung, Achtung der Grundrechte der Mitarbeitenden, Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeitenden, ...)
- Nachhaltigkeit und Umweltschutz (Einhaltung von gesetzlichen Normen und Standards, Nachhaltigkeitsziele, Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Lieferketten, …)
Ergänzt werden diese unternehmensspezifischen Checks durch produktspezifische Checks. Eine Bestellung von Erstmustern dient zur Überprüfung, Sicherstellung und Dokumentation der Produktspezifikationen.
Tipp: Schicke Mitarbeitende der Qualitätssicherung/Wareneingangsprüfung zur Abnahme der Erstmuster zum Lieferanten vor Ort. Dies hebt die zum Teil sehr formale Erstmusterprüfung auf ein neues Level der Qualitätssicherung.