Die globale Textilindustrie stellt einen der wichtigsten, weiterwachsenden Wirtschaftssektoren dar. Sie birgt aber gleichzeitig auch enorme soziale und ökologische Herausforderungen, zumal heute ein Grossteil der Herstellung von Textilien im Ausland erbracht wird. Obwohl Umweltverträglichkeit in der Bekleidungs- und Textilindustrie ein vieldiskutiertes Thema ist, verursacht die Branche noch immer einen viel zu grossen ökologischen Fussabdruck. Muntagnard wollte das anders machen: Sie entwickelten ein Geschäftsmodell für Bekleidung, das komplett neue Ansätze verfolgt.
Dario Pirovino, Gründer und Geschäftsführer von Muntagnard, nahm uns virtuell mit auf seine Reise, die er und sein Geschäftspartner mit ihrem Unternehmen bis heute gemacht haben und zeigt, dass es anders geht – und das sehr erfolgreich!
Der Bedarf an Kleidung wird voraussichtlich weiter steigen: Gemäss WWF von 62 Millionen Tonnen im Jahr 2015 auf 102 Millionen Tonnen 2030. Dieser prognostizierte Anstieg des weltweiten Bekleidungsbedarfs wird weitere Umweltbelastungen und Risiken schaffen. «Business as usual» ist weder für die Wirtschaftlichkeit der Branche noch für den Planeten auf lange Sicht eine Option.
Um finanziell erfolgreich zu bleiben, müssen Unternehmen ihre Umweltbelastung reduzieren und die ökologischen Grenzen unseres Planeten respektieren. Deshalb hat sich Muntagnard «rethinking textiles» auf ihre Fahne geschrieben und versteht Nachhaltigkeit nicht als Ziel, sondern als Hebel für eine kontinuierliche Weiterentwicklung.
Wie kam es zu Muntagnard – welche Rolle spielte dabei «Nachhaltigkeit»?
Beide Gründer von Muntagnard, Dario Pirovino und Dario Grünenfelder, kamen nicht aus der Textilbranche. Sie hatten aber bereits während des Studiums Interesse am Thema Nachhaltigkeit und konnten im Berufsleben auch schon Erfahrung diesbezüglich sammeln. Als sie beide «ins Blaue» gekündigt hatten, wussten Sie noch gar nicht, was sie anbieten würden. Sie nahmen sich die Zeit, um herauszufinden, was ihnen wichtig war und wo sie den Schwerpunkt legen wollten.
Dabei kam heraus, dass es ein «haptisches Produkt» sein sollte. In die Textilbranche sind sie dann mehr oder weniger fast schon zufällig gerutscht: Sie wollten zusammen die perfekte Jacke kreieren. Nicht nur in Bezug auf den Tragekomfort, sondern auch in Bezug auf die Nachhaltigkeit. Ziel war:
- Keine Synthetik
- Keine Baumwolle
Da beide keine Branchenerfahrung hatten, sprachen sie mit möglichst vielen Fachpersonen, besuchten verschiedenste Textilmessen und Vorträge zu innovativen Entwicklungen in der Textilbranche. Sie eigneten sich laufend immer mehr Fachwissen an und lernten stetig dazu.
In einer anfänglichen Naivität dachten sie: «Das kann doch nicht so schwierig sein» und rechneten damit, dass sie bereits in drei bis vier Monaten das Produkt lancieren könnten. Nach dem Start 2018 dauerte es dann doch tatsächlich 2 ½ Jahre, bis die Jacke auf den Markt kommen konnte.
Ganz nach dem Motto «Gut Ding will Weile haben» wurde während
dieser Zeit das Gesamtkonzept bzw. die Marke laufend weiterentwickelt. Dabei
war den beiden Gründern der Sinn hinter Muntagnard schon sehr früh klar: «Wir
glauben an Nachhaltigkeit als wirksamen Hebel für innovative Lösungen. Unser
Ansatz ist grundlegend anders, wobei wir die innovative und begehrenswerte Wahl
für all jene bieten, die keinen Kompromiss zwischen Komfort, Qualität, Stil und
Nachhaltigkeit eingehen wollen.»
Sie hatten bei ihrem Vorgehen einen erheblichen Vorteil: Das Thema Nachhaltigkeit musste nicht nachträglich ins Unternehmen implementiert werden, sondern war von Anfang an ein Teil der DNA von Muntagnard.
Wie ist Muntagnard vorgegangen, einen Nachhaltigkeitsansatz zu entwickeln? Wie setzen sie diesen um?
Die Textilbranche ist sehr komplex. Und genauso komplex sind gewisse Fragestellungen, die man nicht einfach so beantworten kann, wie zum Beispiel: «Welche Faser ist nachhaltiger: Merino Wolle oder Polyester?»
Die Antwort kann hier weder Merino noch Polyester sein. Die korrekte Antwort wäre: «Es kommt darauf an». Wenn man beim Material Merino Wolle alles mitberücksichtigt, dann kommt diese nicht wirklich gut weg: Das Schaf stösst Methangas aus, es braucht viel Futter und Wasser, bis die entsprechende Menge an Wolle gewonnen werden konnte und vieles mehr. Wenn man hingegen nur darauf achtet, dass Merino Wolle natürlich abbaubar und selbst erneuerbar ist, empfindet man diese als nachhaltiger.
Es gibt immer Pro und Contra – egal, wie man sich entscheidet. Das Abwägen und Berücksichtigen aller Faktoren, um auf die idealen Lösungen zu gelangen, war für Muntagnard ein langer Prozess. Sie erarbeiteten hierfür extra einen Nachhaltigkeitsansatz, der definiert, was für die zwei Gründer «grundlegend anders» heisst:
Auswahl innovativer Premium-Materialien für die Kreislaufwirtschaft
- Alle Materialien müssen recycelbar sein
- Alle Materialien müssen biologisch abbaubar sein
- Grundsätzlich keine Mischprodukte – sind besser recycelbar und besser biologisch abbaubar
Rückverfolgbare Wertschöpfungskette mit nachhaltigen Produktionsprozessen
- Wissen, woher alle Materialien kommen – auch das Rohmaterial
- Wissen, wie das Material hergestellt wird bzw. wie das Material verarbeitet wird (gefärbt, weiterverarbeitet etc.)
Resultat: Produkte – grundlegend anders
- Hochwertige und qualitativ hochwertige Premium-Produkte
Ziel ist es nicht, dass Muntagnard selber entwickelt, sondern bestmögliche Materialien und Innovationen zu einem hochwertigen Produkt zusammenführt. Hierfür haben sich die beiden Gründer ein grosses Netzwerk aufgebaut und arbeiten mit innovativen Firmen zusammen.
Daraus entstand beispielsweise das Garn aus Holzfaser. Dario war selbst erstaunt, wie weich sich das Material anfühlt. Oder die Verwertung von Schweizer Wolle, die ein Minusgeschäft für die Bauern darstellt, aus welcher ein Stoff mit einem eigens entwickelten Garn hergestellt wird. Ein weiteres Beispiel ist die Verwertung von Hirschleder aus der Jagd, das in der Vergangenheit von niemandem verwertet wurde. Dieses wird nun für die Lederteile an der Jacke verarbeitet.
Doch nicht nur bei der Produktion der Materialien, sondern auch bei der Fertigung setzt Muntagnard auf «Swissness» und hat Schweizer Partner gefunden, welche die hochwertigen Produkte fertigen.
Wo geht es hin? Produktportfolio, Positionierung, Route to Market
In Zukunft möchten Dario Pirovino und sein Geschäftspartner, dass Muntagnard bekannter wird in der Schweiz. Mit einer grösseren Produktion soll dann mehr Gewinn erwirtschaftet werden, mit dem das angestrebte Wachstum erreicht werden kann. Obschon die Produkte im Hochpreissegment angesiedelt sind, werfen sie aufgrund der «Swissness» und der Nachhaltigkeit nicht so viel Gewinn ab, wie herkömmlich bzw. günstiger produzierte Ware.
Zudem wird das Produktportfolio laufend erweitert. Neu kommt Folgendes hinzu:
- Jacken werden weiter modifiziert – mehr Materialvarianten
- Schals – Strickwaren
- Premium Casual Wear – Holzfaser und Baumwolle, die allen Muntagnard-Kriterien entsprechen
- Premium Performance Wear
Bei der Premium Performance Waer werden – anders, als am Anfang angedacht – neu auch ölbasierte Materialien eingesetzt, da sie hier zur Erkenntnis kamen, dass natürliche Materialien nicht so gut geeignet sind für Sporttextilien. Der Lösungsansatz Stand heute: Polyamid, da dieses Material besser abbaubar ist als Polyester.
Bei der Positionierung und dem Vertrieb ist geplant, dass sich Muntagnard im Premium-Bereich positioniert. Die Fokussierung auf die Direktverkäufe für den direkten Kundenkontakt wird erweitert mit strategischen Kooperationen zu ausgewählten Detailhändlern.
Die Verkaufsorte sollen weiter ausgebaut werden – in einem Jahr sollen die Produkte in 30 bis 40 Orten erhältlich sein.
Welche Wettbewerbsvorteile ergeben sich durch den Ansatz?
Die Vorteile sind vielfältig: Neben mehr Innovationen in den Produkten und Geschäftsmodellen ergeben sich in der Lieferkette eine höhere Transparenz, eine bessere Nachverfolgbarkeit und Direktkontakte bis hin zum Rohmaterial. Dies fördert die Glaubwürdigkeit des Unternehmens, was schwer zu erarbeiten, aber dann unbezahlbar ist.
Ein Beispiel eines neuen Geschäftsmodells war der praktische Schlauchschal für die Wintersportler, welcher während der Corona-Krise entwickelt wurde: wärmender Schal und schützende Gesichtsmaske in einem. Da es hier drei verschiedene Schweizer Anbieter gab, gründete man kurzerhand ein Spin-off, so dass nun alle drei Anbieter sich nicht mehr konkurrenzieren, sondern zusammen mit der Marke «Swiss Mask Force» im Markt sind.
Schlussfolgerung
Nachhaltigkeit erfordert, anders zu fragen, anders zu entscheiden und anders zu denken. Und doch lohnt sich Nachhaltigkeit für ein Unternehmen:
- Nachhaltigkeit wird immer wichtiger
- Kunden sind bereit, für fair und nachhaltig hergestellte Produkte faire Preise zu zahlen
- Nachhaltigkeit ist ein nachprüfbares Qualitätskriterium
- Nachhaltigkeit stärkt ein positives Image
- Sparsamer Ressourcenumgang senkt Kosten
- Nachhaltigkeit als Schutz vor sogenannten «Shitstorms»
- Nachhaltigkeit zur Kundenbindung
- Nachhaltigkeit für die Mitarbeitergewinnung
- Wettbewerbsvorteile durch Nachhaltigkeit
Und wann beginnst Du in Deinem Unternehmen, Nachhaltigkeit zu integrieren? Wir sind überzeugt, dass Nachhaltigkeit nicht nur Bedürfnisbefriedigung für Stakeholder ist, sondern vielmehr als Treiber für Innovation und neue Geschäftsmodelle wirkt. Sicherlich ist einiges Umdenken nötig und es gibt sehr viel zu lernen und zu beachten. Doch es lohnt sich! Also lass Dich nicht aufhalten und fang jetzt an, Deine Nachhaltigkeits-Ideen für Dein Unternehmen zu entwickeln und Deine Stakeholder für dieses Thema zu sensibilisieren und zu begeistern.
Wie die Bergler unsere Welt erobern
Video QQ-Impuls
Wir haben Dir den gesamten QQ-Impuls aufgezeichnet, so dass Du Dich auch im Nachhinein über dieses interessante Thema informieren kannst.
Im Video siehst Du auch die Fragen der QQ-Impuls-Teilnehmenden und interessanten Antworten von Dario!
Lerne noch mehr zum Thema!
Text: Anja Zell